Muslimische Feder

Die Helfer des Königs der Feder.

Fasten – Menschheitsgeschichtlicher Hintergrund [Teil I]

Fasten – Menschheitsgeschichtlicher Hintergrund [Teil I]

„Ernsthaft?! Du darfst 16 Stunden nichts essen und trinken?! Das kann beim besten Willen nicht gesund sein…“

„Ich würde das keine zwei Tage durchhalten.“

„Den ganzen Tag nichts trinken? Das ist doch schädlich ohne Ende.“

Sicher kennt der eine oder andere praktizierende Muslim die erstaunten Fragen und die verwunderten Bemerkungen in Bezug auf den islamischen Fastenmonat Ramaḍān. Nicht ganz zu Unrecht, denn der Gedanke daran, dem eigenen Körper und Geist das elementar lebensnotwendige – nämlich Essen und Trinken – vorzuenthalten, lässt zwangsläufig die Frage aufkommen, ob man sich damit wirklich einen Gefallen tut oder ob man dem eigenen Körper nicht vielleicht sogar langfristigen Schaden zufügt.

Fasten – eine Erfindung der Neuzeit?

Ganz allgemein gesprochen bezeichnet das deutsche Wort „Fasten“ den „partiellen oder vollständigen Verzicht auf Nahrung für einen bestimmten Zeitraum“. [1] Meistens geht mit dem Verzicht auf Nahrung auch ein Verzicht auf alle möglichen Arten von Genuss im weitesten Sinne einher. Betrachtet man die Geschichte der Menschheit, so lässt sich feststellen, dass sich das Fasten in den unterschiedlichsten Spielarten in zahlreichen Kulturen und Religionen wiederfindet. Bereits im antiken Griechenland kannte man das Fasten als Heilmethode. So wird Hippokrates von Kos, der als berühmtester Arzt des Altertums gilt und dessen Wirken sich bis heute zum Beispiel in dem nach ihm benannten „Hippokratischen Eid“ manifestiert, folgendes Zitat zugeschrieben: „Sei mäßig in allem, atme reine Luft, treibe täglich Hautpflege und Körperübung […] und heile ein kleines Weh eher durch Fasten als durch Arznei.“

Auch in den buddhistisch geprägten Kulturen des Fernen Ostens kennt man das Fasten als religiöses Ritual zur Steigerung der Achtsamkeit bei der Meditation und als „Mahnung“ zum maßvollen Umgang hinsichtlich der Nahrungszufuhr. [2] Im Abendland ist sicher die christliche Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Gründonnerstag jedem ein Begriff. Zwar ist hier der Nahrungsverzicht nicht so streng reguliert wie zum Beispiel im Islam, zweifelsohne ist er aber auch im Christentum, bzw. in der katholischen Kirche eng mit Besinnung, Einkehr, Intensivierung von Gebeten und verstärkter Wohltätigkeit verknüpft.

Betrachtet man die religiösen und kulturhistorischen Gemeinsamkeiten der Fastenzeiten in den verschiedenen Epochen und Gesellschaften der Menschheit, so lässt sich immer ein gemeinsamer Nenner feststellen: der Verzicht auf Nahrung ist kein Selbstzweck, keine selbst auferlegte Askese, die nur der bloßen Geißelung des menschlichen Körpers dient – das Fasten hat immer auch zum Ziel, den Menschen zur Mäßigung, zur inneren Einkehr, zur Auseinandersetzung mit sich selbst anzuleiten.

Obgleich der Mensch das Fasten schon seit Jahrtausenden als Instrumentarium der Selbstreinigung und Selbsterfahrung kennt, sind dessen naturwissenschaftliche Hintergründe erst in den letzten Jahren in den Fokus der Forschung gerückt.

Nichts essen soll gesund sein?

Interessant ist, dass das Fasten in den letzten Jahren vor allem zur Verbesserung des körperlichen Gesundheitszustandes und des allgemeinen Wohlbefindens in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Ein interessantes Schlagwort, das man häufig liest, ist das „Intervallfasten“, dem zahlreiche positive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zugeschrieben werden. Beim sogenannten Intervallfasten „dauern je nach Modell [die Nahrungspausen] zwischen 16 Stunden und zwei Tagen. Die Pläne reichen von Fasten an jedem zweiten Tag, dem ‚alternate day fasting‘ bis zur ‚Fünf-zu-Zwei-Diät‘. Hier sollen an zwei Tagen in der Woche nur maximal 20 bis 25 Prozent der benötigten Kalorien gegessen werden.“

All diesen Ernährungsformen ist eines gemeinsam: der Nahrungsverzicht sollte mindestens 16 Stunden betragen, da erst ab dieser Zeitspanne die physiologischen Mechanismen greifen, denen ein positiver Beitrag zur körperlichen und geistigen Gesundheit zugeschrieben wird. [3]

Der Wirksamkeit dieser Fastenmethode liegt folgende Annahme zugrunde: biologisch betrachtet hat sich der Mensch in den letzten zehntausend Jahren in den grundlegenden Mechanismen seiner physischen Existenz nur wenig verändert. Die Einführung oder Entdeckung bahnbrechender Überlebensmechanismen wie Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht sorgten für eine halbwegs stabile Überlebensgrundlage, die den Selektions- und Anpassungsdruck an die Widrigkeiten der Natur zumindest milderten. [4] Die Weiterentwicklung und Anpassung der menschlichen Natur an die jeweiligen Lebensumstände setzt sich aber fort, solange der Mensch existiert. Man darf nicht vergessen, dass der Umstand, dass wir zu jeder Tages- und Nachtzeit alle Arten von Lebensmitteln zur Verfügung stehen haben, ist in der Geschichte der Menschheit einmalig. Vergleicht man die jeweiligen Zeiträume von Entbehrung und Überfluss mit einer Uhr, dann entspricht der Zeitraum von 00:01 bis 23:59 dem Teil der Menschheitsgeschichte bis zur Moderne, in dem der Mensch zumindest große Teile seiner Energie der Beschaffung und Zubereitung von Nahrung aufwenden und dem allgegenwärtigen Mangel an derselben begegnen musste. [5]

Der Körper des Menschen ist grundsätzlich so konzipiert, dass er – ohne schwerwiegende gesundheitlichen Einschränkungen befürchten zu müssen – lange Zeiträume ohne konstante Nahrungszufuhr gut überstehen kann. Zweifelsohne ist die heutige Situation sowohl in den sogenannten entwickelten Industrienationen als auch in den zahlreichen sogenannten Schwellenländern in Hinblick auf das permanente Überangebot an Nahrung in der Geschichte der Menschheit einmalig. Nicht nur müssen wir uns heute dank der bahnbrechenden technischen, industriellen und medizinischen Entwicklung der letzten 150 Jahre keine Sorgen mehr um den kurzfristigen Erhalt unserer Nahrungszufuhr machen, vielmehr sind wir heute in der außergewöhnlichen Situation, dass ein Überangebot an Nahrung herrscht, sodass wir den täglichen Energiebedarf theoretisch um das zigfache decken können.

Was die Nahrungsaufnahme angeht, ist die Herausforderung unserer Zeit nicht mehr, den Mangel an Nahrung mit all seinen negativen Konsequenzen zu vermeiden, sondern den Überfluss mit all seinen negativen Konsequenzen. Auch aus religiöser Sicht ist dieser Aspekt für uns als Muslime interessant, da wir den Islām als Religion der goldenen Mitte ansehen und als Aufruf Gottes, immer den Weg der Mäßigung, der Balance zu ergründen und diesem zu folgen. Leider ignorieren wir oft, dass dieses Paradigma der goldenen Mitte und der Mäßigung nicht nur selektiv in bestimmten Bereichen unseres (spirituellen) Lebens Anwendung finden soll, sondern gerade in Bezug auf unseren Lebensstil und insbesondere in Hinblick auf unsere Ernährungsgewohnheiten.

In einem Ḥadīṯ des Heiligen Propheten Muhammad heißt es: „Ein Mensch füllt kein schlimmeres Gefäß als seinen Magen. Es ist für einen Menschen ausreichend, gerade so viele Bissen zu essen, um seine Wirbelsäule aufrecht zu halten. Aber wenn es nötig ist (den Magen zu füllen), dann zu einem Drittel mit Essen, zu einem Drittel mit Trinken und zu einem Drittel mit Luft.“  [6]

Der Heilige Prophet Muhammad hat uns also die klare Anweisung gegeben, nur so viel zu essen wie nötig ist, um „unsere Wirbelsäule aufrecht zu halten“. Das heißt, die Menge der Nahrung, die wir zu uns nehmen, sollte darauf begrenzt sein, die Funktionalität unseres Körpers aufrechtzuerhalten. In physikalischem Lichte betrachtet heißt das, dass wir entsprechend unseres Energieverbrauches und somit unseres Kalorienbedarfes essen sollten. In diesem Zusammenhang mag die Formulierung mit der Aufrechterhaltung der Wirbelsäule verwundern, da sie sehr allgemein gehalten ist und keine konkrete Mengenangabe enthält. Hierbei muss man aber berücksichtigen, dass ein schwer arbeitender Mensch (wie beispielsweise ein Bauarbeiter oder ein Handwerker) einen viel höheren Kalorienbedarf hat als zum Beispiel ein Angestellter im Büro. Folglich braucht der Bauarbeiter eine viel größere Menge an Nahrung, um seinen Energiebedarf zu decken. Eine Richtlinie für beide ist aber in jedem Fall, nur so viel zu essen, bis das Hungergefühl gerade gestillt ist. In der Praxis kann das so aussehen, dass die angemessene Menge an Essen für den Bauarbeiter trotzdem doppelt so groß ist wie die Nahrungsmenge für den Büroangestellten.

Die oben genannte Aussage des Heiligen Propheten deckt sich mit den heutigen Erkenntnissen der Medizin. In einer Studie aus Japan aus dem Jahr 2011 konnte im Vergleich mehrerer Gruppen mit unterschiedlichen Essgewohnheiten gezeigt werden, dass die Teilnehmer, die langsam und nur so viel aßen, dass kein Sättigungsgefühl erreicht wurde, ein geringeres Risiko für lebensstilbezogene Erkrankungen wie Bluthochdruck, Übergewicht oder Diabetes hatten. [7]

Das „rechte Maß“, die „Mäßigung“ oder „goldene Mitte“ gilt es also immer wieder neu zu ergründen und zu justieren. Was heute als angemessene Menge an Nahrung erscheint, kann morgen (beispielsweise nach einem Wechsel der beruflichen Tätigkeit) schon zu viel sein und das richtige Maß überschreiten. In einer weiteren Aussage des Heiligen Propheten heißt es:

„[..]Begeht also gute Taten auf die richtige Art und Weise, aufrichtig und in Maßen und huldigt Allah am Vormittag und am Nachmittag und in einem Teil der Nacht und macht euch immer einen mittleren, gemäßigten, beständigen Weg zu eigen, der euch ans Ziel bringt (das Paradies).“ [8]

Nicht ohne Grund spricht Allah zu den Gläubigen mit den folgenden Worten:     
„O Kinder Adams, […] und esset und trinket, doch überschreitet das Maß nicht; wahrlich, Er liebt nicht die Unmäßigen.“
(Der Heilige Qur’an 7:30-32)

… Teil II folgt insha´Allah bald!


[1] vgl. Duden

[2] https://lmy.de/yzgt

[3] https://lmy.de/LeSe

[4] https://lmy.de/SBwe

[5] https://lmy.de/AsbA

[6] Sunan Ibn Majah 3349

[7] https://lmy.de/OWum

[8] Sahih al-Bukhari 6463