Die Läuterung der Seele – auf den ersten Blick scheint es, als handele es sich um eine abstrakte, esoterische Praktik, die nur von einer bestimmten Gruppe von Menschen unter gewissen Voraussetzungen durchgeführt werden kann. Beim genauen Hinsehen erkennen wir jedoch, dass es sich um eine universelle Sehnsucht handelt, die von jedem Individuum auf der Erde erstrebt wird. Es ist die Sehnsucht nach dem Seelenfrieden, nach der Freiheit von negativen Gedanken und Emotionen und nach einem Leben in voller Entfaltung.
In diesem Artikel möchte ich zeigen, dass die Läuterung der Seele ein persönlicher Prozess ist, den jeder von uns selbst angehen kann. Wie genau das funktioniert, hat der zweite Khalif der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hadhrat Mirza Bashir-du-Din Mahmood Ahmad RA, in seinem Buch Irfan-e-Ilahi festgehalten und mit zahlreichen Beispielen und Zitaten bildhaft verdeutlicht. Hudhur RA erwähnt elf Phasen, in denen der Waschvorgang der Seele aufgeteilt ist.
Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass es sich bei der Seele um nichts Materielles handelt, sondern sie etwas Mystisches, nicht-greifbares und spirituelles beschreibt. Deshalb bedarf es auch eines spirituellen Reinigungsmittels oder eines „Allzweck-Waschpulvers“, welches jeden Fleck und jede noch so kleine, hartnäckige Verunreinigung zu beseitigen vermag.
Der Waschvorgang der Seele, den der zweite Khalif der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hadhrat Mirza Bashir-du-Din Mahmood Ahmad RA in seinem Buch Irfan-e-Ilahi beschreibt, beginnt damit, dass wir uns von unreinen Gedanken befreien. Die Frage mag aufkommen, weshalb dies der Grundstein für alles Weitere darstellt. Ein bekanntes Zitat aus dem Talmud gibt darauf eine wunderbare Antwort:
„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Und achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“
Die zweite Phase in unserem Waschvorgang umfasst etwas außerordentlich Essentielles. In dieser Phase geht es darum, sich selbst darüber im Klaren zu sein, was Allah gefällt und missfällt, was unsere Seele reinigt, und was verunreinigt. Angenommen es ist einem nicht bekannt, dass man einen Tomatenfleck am besten mit Essig und heißem Wasser entfernt, so wird es zu keinem Erfolg führen, wenn man mit einem Feuchttuch über eben diesen Fleck wischt und diesen entfernen möchte. Man kann auch noch so häufig die Prozedur durchführen, wenn das Werkzeug nicht die Fähigkeit hat, das gewünschte Ergebnis zu erzielen, so wird es ein langwieriger , wenn nicht sogar aussichtsloser Prozess.
Die dritte und vierte Phase in unserem Reinigungsprozess lassen sich gut vereinen. Diese umfassen sich gute Taten zur Gewohnheit zu machen und diese mit Kontinuität zu stützen.
Viele von uns kennen es: Man nimmt sich vor, regelmäßig Sport zu treiben und dabei abzunehmen. Mit großer Motivation beginnt man, regelmäßig laufen zu gehen, auf eine gesunde Ernährung zu achten und viel zu trinken. In den meisten Fällen mündet die Motivation darin, dass man nach einigen Tagen aufgibt und zu seinen alten, schlechten Gewohnheiten zurückkehrt. Entsprechend findet wir die Aussage des Heiligen Prophet Muhammad SAW:
أَحَبُّ الأعمالِ إلى اللهِ أدْومُها و إن قَلَّ[1]
„Allah gefallen die Taten am meisten, welche beständig sind, auch wenn diese wenig sind.“
Die nächste Phase, also die fünfte Phase, kann gut mit dem Spruch „Zeig mir deine Freunde und ich sag dir, wer du bist.“ zusammengefasst werden. Dieses Zitat bezeichnet unseren nächsten Schritt der Läuterung: Sich in der Gesellschaft von rechtschaffenen Menschen aufhalten. Rechtschaffenheit zu erlangen ist einfacher, wenn man Menschen um sich hat, die das gleiche Ziel verfolgen und einen dabei unterstützen können.
Viele von uns haben die Schule besucht oder studiert und wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig es manchmal sein kann, sich alleine in ein neues Thema einzuarbeiten. Im Gegensatz ist es deutlich einfacher, wenn man durch einen Lehrer oder einen Mitschüler an das Thema herangeführt wird. Genauso verhält es sich auch mit unserer Seele.
Im mittleren Teil unseres Waschvorgang geht es um die Durchführung der Selbstreflexion. Der Heilige Qur‘an sagt hierzu:
„Und keine Lasttragende kann die Last einer anderen tragen.“ (35:19)
Auch die Bibel legt großen Wert darauf und beleuchtet an mehreren Stellen:
„Ein jeder wird seine Last tragen.“
Hadhrat Umar RA sagte einst hierzu: „Zieht eure Seele selbst zur Verantwortung, bevor sie zur Verantwortung gezogen wird!“
Die siebte Phase beschreibt etwas, was uns als Mensch ausmacht und uns von anderen Geschöpfen unterscheidet: Nachzusinnen. Ja, unseren Verstand zu benutzen und über die Gebote aus dem Heiligen Qur‘an nachzusinnen. WARUM wir beten, WARUM wir fasten, WIESO wir Gutes tun sollen, WESHALB die Lüge eine Sünde ist. Letztlich unseren Alltag und unsere Handlungen zu reflektieren.
Im Zuge des Waschvorgangs kommt es im nächsten Schritt auch dazu, seine Fehler einzusehen. Denn nur wenn man seine Fehler einsieht, kann man auch um Verzeihung bitten und eine Revolution in sich hervorrufen. Dies nicht in Betracht zu ziehen, wäre eine Art von Hochmut, und sich als fehlerlos zu verstehen, eine Form von Blasphemie. Dadurch kann enorm viel Unreinheit aus unserer Seele entfernt werden.
Dies gelingt jedoch nur, wenn die neunte Phase, also, dass Ermahnungen mit Geduld und Toleranz ertragen werden sollen, hiermit in Einklang steht.
In der Surah Al-Ahfaq in Vers 36 spricht Allah:
„Gedulde dich, wie es die Gesandten taten, die standhaft waren.“
Geduld ist eine Eigenschaft und eine Tugend, die Gesandten und Propheten zugeschrieben wird und für die Reinigung der Seele essenziell ist.
Die vorletzte Phase kann als Stützpfeiler für die Vorherigen verstanden werden, nämlich dass man die Hoffnung nicht aufgeben darf. Allah sagt hierzu im Heiligen Qur´an:
„Und hoffnungslos ist jener, der frevelt.“ (Ta-Ha:112)
Aufzustehen, wenn man fällt, nicht aufzugeben, immer weiterzumachen; dies sind doch die Eigenschaften eines Gläubigen! Was erwartet einen Gläubigen am Ende dieses beschwerlichen, mit Dornen besetzten Weges? Erfolg! Denn Allah sagt: „Erfolg fürwahr krönt die Gläubigen.“ (Al-Mu’minun:2)
Auch findet sich im Schintoismus ein Zitat, welches auch die Samurai als Mantra nutzten:
„Aufgeben kann jeder, es ist die einfachste Sache der Welt. Aber sich aufzurappeln, wenn alle erwarten, dass man zusammenbricht, das ist wahre Stärke.“ [2]
Wir beenden unseren Waschgang damit, sicherzugehen, jede noch so feine Verunreinigung zu säubern. Dafür ist es unabdingbar, jede noch so kleine Sünde als schwerwiegend zu erachten. Stellen wir uns vor, wir besitzen einen Becken voller kristallklarem blauen Wasser. Wenn auch nur ein Tropfen Gift hinein tropft, verbreitet sich das Gift und das Wasser ist nicht mehr trinkbar. Wir müssen das Wasser filtern oder sogar komplett auswechseln.
Genauso verhält es sich mit der Seele. Jede noch so kleine Sünde befleckt sie und wir müssen von vorn mit unserer Reinigung beginnen!
Dies sind elf Reinigungsschritte, mit denen wir unsere Seele reinigen können. Doch wie zu Beginn schon erwähnt, benötigen wir noch ein Allzweck-Waschpulver. Und dieses, meine liebe Leserschaft, ist das Gebet. Das fünfmalige tägliche Gebet, welches Allah uns auferlegt hat. Mit Hilfe des Gebets in Kombination mit den Reinigungsschritten können wir unsere Seele von Grund auf reinigen! Wenn man sich dies genauer betrachtet, so werden allein durch das Gebet selbst die oben beschriebenen Reinigungsphasen bereits durchlaufen.
Nun liegt es an uns, unseren Waschvorgang durchzuführen und unsere Seele zu reinigen!
[1] Sahih Hadith Nummer 163
[2] Miyamoto Musashi