Muslimische Feder

Die Helfer des Königs der Feder.

Warum gibt es Leid auf der Welt?

Warum gibt es Leid auf der Welt?

Unverständnis über das Wesen Gottes wird häufig von der Frage aufgeworfen, wieso Gott, der ja ohne Zweifel rahmaan (gnädig) und rahiem (barmherzig) ist, das Übel und Leid in der Welt zulässt. Wenn Gott nur Gutes will und der Schöpfer aller Dinge ist, hat Er dann auch das Böse geschaffen?

Diese Frage bewegt schon seit alters her Teile der Menschheit und wurde 1710 als Theodizee- frage (Rechtfertigung Gottes) bekannt.

Der Islam bezeugt die Heiligkeit und Vollkommenheit Gottes sowie Seine Allmacht und Barmherzigkeit wie keine andere Religion, deshalb sind die Erklärungen mancher Philosophen und Theologen zurückzuweisen, welche die Ursache für das Übel in Fehlern Gottes oder gar in einer Gott ebenbürtigen Macht sehen. All diese Erklärungen strotzen von Unwissenheit über Gott und sind selbst in sich nicht schlüssig.

Im Qur-ân heißt es: »Er hat die Himmel und die Erde erschaffen in Weisheit.« (16:4, s. auch 46:4). Damit ist klar gesagt worden, dass alles, was wir erfahren und wahrnehmen, mit einer göttlichen Weisheit versehen ist. Bleibt die Frage, welche Weisheit hat es, Leid ausgesetzt zu sein?

Die Weisheit im Leid

Die einzige Lösung, die das islamische Gottesbild zulässt, ist, dass Leid jeglicher Art eine wichtige Rolle bei der Erkenntnis Gottes, also dem Ziel des menschlichen Seins, spielt.

Wenn man nun die Physik, Chemie und Biologie, also die Schöpfung Gottes studiert und nach den Ursachen für jede Form der Veränderung und Entwicklung sucht, stellt man fest, dass die Motivation stets darin liegt, von einem »unangenehmen« in einen »angenehmen« Zustand zu wechseln. Diese Sichtweise gilt in abstrahierter Form selbst für die Veränderungen in der toten Materie wie bei chemischen Reaktionen oder physikalischen Ausgleichsvorgängen. Stets streben die Substanzen von einem labilen in einen stabilen energetischen Zustand. Wobei höher energetische Zustände als »unangenehm« für die Substanzen anzusehen sind und nieder energetische Zustände als »angenehm«.

Steigen wir nun die Leiter der Entwicklungsstufen weiter auf, sehen wir, dass einfachstes intelligentes Leben, wie Bakterien und Einzeller den gleichen Gesetzmäßigkeiten folgen. So kann man beobachten, dass Organismen, deren Wahrnehmung auf Temperaturempfindung beschränkt ist, vom Kalten ins Warme streben, wenn das für sie vorteilhaft ist. Mit anderen Worten, sie entfliehen dem Leid der Kälte und streben in die angenehme Wärme.

Wenn man nun die Beweggründe für das Handeln irgendeines intelligenten Wesens betrachtet, stellt man fest, dass immer die Flucht vor dem Leid und die Suche nach Frieden die Ursache für alles Handeln darstellen.

Im Umkehrschluss bedeutet dies, wenn wir kein Leid hätten würde es auch keine Entwicklung geben. Das Leben hätte sich nicht entwickeln können. Niemals hätten sich aus den am Anfang der Evolution stehenden Aminosäuren komplexere Gebilde geformt, die zu den ersten Einzellern geführt haben und diese hätten sich niemals zu größeren Zellenansammlungen zusammen geschlossen um dem Leid ihrer Welt zu entfliehen.

Das Leid ist der Motor für jede Entwicklung und ohne Leid wäre kein Leben, ja nicht einmal ein Handeln möglich. Es wäre, Gott bewahre, Gottes größter Fehler gewesen, hätte er kein Leid geschaffen.

Frieden und Liebe als Alternative zum Leid?

Gerne wird eingewandt, dass nicht alles nur dem Prinzip der Leidensminderung folgt, sondern auch dem Bestreben Frieden herzustellen und Liebe zu schenken.

Geht man nun der Frage nach, was der Zustand des Friedens ist und was Liebe zu geben bedeutet, stößt man schnell wieder auf das Leid. Denn ist es nicht Frieden, wenn man von Leid verschont bleibt? Und bedeutet Liebe geben etwas anderes, als den anderen vor Leid zu bewahren? Hier handelt es sich offenbar um zwei Seiten einer Medaille. Leid auf der einen, Frieden auf der anderen Seite. Das eine wäre ohne das andere nicht denkbar, genauso wie Hell keine Bedeutung hätte, wenn es kein Dunkel gäbe. Erst der Unterschied der beiden Zustände erlaubt es, diese zu empfinden. Die Empfindung ist also nichts anderes als genau die Wahrnehmung dieser Unterschiede.

Das Leid in der islamischen Theologie

Der Verheißene MessiasAS schreibt bezüglich Krankheit, dass diese zwei Aufgaben erfüllt, je nachdem wer von der Krankheit betroffen ist. Wird ein spirituell niedrig stehender Mensch von Krankheit getroffen, ist es für ihn eine Möglichkeit, Sühne für seine Sünden zu erfahren. Seine Sünden sind die Ursache für das Leid und das Leid in Form von Krankheit geduldig zu ertragen, ist eine Möglichkeit dem weiteren Übel der Sünden zu entkommen und die Reinheit der Seele zu erhöhen. Dabei ist zu bedenken, dass eine Sühne oder Strafe in diesem Leben wesentlich leichter zu tragen ist, als die Strafe im Jenseits, da erst im Jenseits das volle Ausmaß unserer Sünden sichtbar wird. Also Krankheit als Reinigung der Seele.

Der zweite Zeck von Krankheit trifft ein, wenn ein sündenfreier Mensch, z.B. ein Kind oder ein Heiliger, wie die Propheten, von Krankheit befallen sind. In ihrem Fall kann es nicht zur Vergebung der Sünden dienen, da sie ohnehin ohne Sünde sind. Hier zählt alleine der Aspekt, dass durch das Empfinden von Leid, welches mit dieser Welt verknüpft ist, die Liebe für das göttliche, himmlische weiter erhöht und vergrößert wird. Ab einem bestimmten Grad an Gotteserkenntnis, weiß der Mensch, dass er nur bei Allah, seinem Schöpfer, frei von Leid sein wird und man vollkommenen Frieden finden kann. Gerade das ist der tiefe Grund für das Leid in dieser Welt; so entsteht der Wunsch und Drang sich Gott anzunähern. Jede Entfernung zu Ihm bedeutet der gereinigten Seele das größte Leid. Die Trennung von Gott ist schlimmer als alles körperliche, materielle Leiden dieser Welt.

Der Verheißene MessiasAS beschreibt in seinem Buch »Die Philosophie der Lehren des Islam«, dass jeder Mensch mit einer »Lücke« in der Seele geboren wird. Der Drang und Wusch jedes Menschen ist, diese Lücke zu schließen. Man könnte diese Lücke als ein angeborenes Leiden der Seele bezeichnen. Wie gesagt, hat der Mensch natürlich das Bedürfnis, sich von diesem Leid zu befreien und wird alle versuchen, um diese Lücke zu schließen. Dabei versucht der Mensch mit allem ihm greifbaren eine Erlösung von diesem Leid zu finden. Er stellt jedoch fest, dass alles was er ausprobiert ihn nicht von seinem Schmerz erlöst. Bis er diese Lücke mit Gott schließt. Nur Gott ist geeignet um den Durst unserer Seele zu stillen. Alles andere wird sich über kurz oder lang als Götze erweisen und nicht geeignet um die Seele zu befriedigen. Es ist also für unsere Entwicklung in jeder Hinsicht essentiell, dass es ein Leid gibt, welches uns überhaupt erst motiviert unsere momentane Situation zu ändern.

[Quelle: Revelation, Rationality, Knowledge and Truth, Hadhrat Mirza Tahir AhmadRS]